Clarity

Hatte sie mich deshalb verlassen? Um zu testen, ob ich darunter leiden würde? Hat sie gut gemacht. Sie hat ihr Ziel erreicht, herzlichen Glückwunsch. Aber warum ich? Hätte es nicht Michelle treffen können? Nicht, dass ich ihr denselben Schmerz wünsche, aber Karma sollte wirklich mal bei ihr zuschlagen. Oder wäre dieser Gedanke zu negativ? Ich denke schon. Also schlug ich diesen schnell weg und stand aus meinem Bett raus. Heute war Sonntag, was bedeutete: Familien-Tag. Wir unternahmen immer Sonntags etwas. Egal was. Sei es in die Berge oder einfach nur mal in die Stadt zu fahren. Hauptsache man war zusammen. Leider war es bereits Winter und der erste Schnee lag schon. Ich mochte Winter ja eigentlich, nein, ich liebte ihn. Eigentlich. Meine Familie hasste den Winter, sie wollten nicht mal mehr raus gehen, wenn sie die Chance hatten, drinnen zu bleiben. Also hatte ich nicht wirklich Hoffnungen auf heute. Trotzdem trottete ich ins Bad, um mich fertig zu machen.

Nur noch einen letzten Blick in den Spiegel. “Warum hast du mir nichts gesagt? Dir was gesagt? Du weißt was ich meine. Du und Michelle. War das Absicht? Ich weiß wirklich nicht was du meinst, Kindchen. Komm, Michelle, wir gehen.” Warum könnte ich diese Erinnerung nicht vergessen? Eva war einfach eine falsche Kuh, das sollte ich mittlerweile einfach akzeptieren und darüber hinweg kommen. Ich könnte mir ja zum Beispiel andere Freunde suchen, wie... wie... Oder mich eben auch allein durchschlagen. Mit einem Lächeln im Gesicht, das mich hoffentlich wieder aufmunterte, spazierte ich ins Wohnzimmer. Meine Mutter war bereits wach. Sie saß auf der Couch, mit einem Kakao in den Händen, die Beine hoch gelegt und noch im Schlafanzug.

“Ziehst du dich noch an?” Fragte ich sie, während ich mir was zu essen machte.

“Hatte ich jedenfalls nicht vor. Dein Vater ist heute arbeiten.” Also hatte sie es schon wieder vergessen.

“Okay.”

“Warum? Hattest du heute was vor?”

“Heute ist Sonntag, mum.” Versuchte ich Sie darauf aufmerksam zu machen. Aber wenn Dad nicht da war, brachte es sowieso nichts.

“Oh! Das hab ich vergessen! Soll ich deinen Vater anrufen? Wir können am Abend noch was machen!”

“Lass gut sein, mum. Dann ruf ich eben Eva-“ Ich war in eine alte Gewohnheit gerutscht. Nein! Nein! Nein! “Ich meine, ich kann Elena mal anrufen.” Elena war meine Cousine.

Bevor meine Mutter noch etwas sagen konnte, verschwand ich wieder in meinem Zimmer. Mum hatte es schon wieder vergessen. Dabei hatte ich mich doch so gefreut... aber warum Dad? Er war bis jetzt immer derjenige, der noch halb daran gedacht hatte. Lag es an ihrem Alter? Bekamen sie vielleicht schon langsam Demenz? Ich hoffte jedenfalls nicht. Ich war doch gerade erst 14... Und ich wünschte wirklich, ich wäre wieder jünger. Ach, die guten alten Zeiten... In denen meine Eltern noch miteinander gescherzt haben, mit mir draußen eine Schneeballschlacht gemacht haben...

Ich biss in mein Brot.

ENDE

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#2018november30day