Ist eine Kurzgeschichte, aber ich hab sie in mehrere Teile aufgeteilt, weil sie etwas „lang“ ist (zumindest für Amino).
Namen von Personen, aus meinem echten Leben, sind abgeändert.
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Zurück in der Klasse setzte ich mich auf meinen Platz und trank noch schnell was, bevor der Lehrer mit dem Unterricht begann.
Valentins Sachen waren noch immer da, doch von der Person fehlte jede Spur.
Tatsächlich hatte ich ihn über die ganze Schulstunde hinweg im Hinterkopf und hatte den Unterricht nur so halb mitbekommen.
Warum eigentlich? Er ist ein arroganter Mistkerl und er hat mir nie gutes getan, sondern lässt mich immer noch glauben, ich hätte irgendwann irgendwas Falsches oder Komisches gesagt, dass ihn dazu brachte, mich zu ignorieren.
Ich hatte zwar einen Hass gegenüber entwickelt, aber ich fragte mich immer noch, was ich getan hatte, dass er sich so krass von mir abwandte. Es machte mich wirklich verrückt.
Trotzdem verdiente es niemand, so von den Klassenkameraden verprügelt zu werden.
Normalerweise hätten wir heute 9 Schulstunden gehabt und jetzt dann Mittagspause, doch stattdessen hatten wir gleich aus. Lehrerkonferenz. War aber schon letzte Woche bekanntgegeben worden – hatte also nichts mit dem Vorfall heute zu tun.
Ich packte meine Sachen, mal wieder warteten meine ‚Freunde‘ nicht auf mich und ich war die Letzte, die den Raum verließ. Die Lehrerin sperrte zu, obwohl Valentins Sachen noch auf seinem Platz verteilt lagen.
Ich wandte mich ab.
Für Herbst war es noch ziemlich warm draußen und die Sonne schien, der Himmel frei von Wolken. Ich sollte den Nachmittag genießen, wo wir doch nur eine Hausaufgabe aufbekamen und auch so früh aushatten.
Gerade war ich raus aus dem Eingangstor, wollte meinen Helm aufsetzen und zu meinem Fahrrad stolzieren, als ich ein leises Wimmern – vielleicht war es auch ein Knurren oder eine Mischung davon – hörte.
Ehrlich gesagt wusste ich nicht, ob ich es wirklich hörte oder ob mein Hirn einfach nicht vom ‚Verschwinden Valentins‘ ablassen wollte, aber ich nahm meinen Helm wieder ab und ging zurück in den Foyer.
Nach rechts würde es zu den Treppen gehen, dort wo ich gerade herkam, links stand aber ein Getränkeautomat und dahinter war eine Couch mit super Fensterblick. Eigentlich ein perfektes Versteck, weil hier fast nie jemand vorbeiging, außer man musste zum Techniker, der sein Büro links geradeaus hatte.
Das war meine letzte Chance.
Die Szene sah vermutlich mehr als absurd aus und wahrscheinlich hatte ich mir das Wimmern wirklich nur eingebildet, weil meine Neugier einfach zu groß für die Welt war, aber ich wollte es wissen.
Ich ging um den Automaten rum und tatsächlich: da saß er. Hatte seinen Kopf zwischen seinen Beinen vergruben und fasste sich mit einer Hand an den Kopf. Vermutlich hatte er Kopfschmerzen.
„Da bist du also.“
Ich klang ziemlich spaßig, denn so war er auch immer. Jeder seiner Kommentare war immer mit einem Lachen beschönigt worden und er sprach sowieso meistens nur mit Ironie.
Er sah auf, sein Blick war leer, aber auch überrascht. Er hatte mich sicherlich nicht erwartet.
Außerdem hatte ich ihn noch nie so geschwächt gesehen. Er war zwar nicht der größte Muskelprotz – verließ sich auch eher auf sein Hirn –, aber er betrieb viel Sport und hatte gute Muskeln. Ich fragte mich da überhaupt, wie er die Prügelei hatte verloren können.
Er sagte nichts, aber dort wo er seine Hand hielt, rann Blut sein Gesicht herunter und er schien es nicht zu merken. Oder er merkte es und es war ihm egal.
Mir aber nicht.
„Du blutest.“ Sprach ich das offensichtliche aus und wollte mir sogleich die Hand gehen die Stirn schlagen. Warum ist eigentlich alles, was ich sage, immer peinlich? Und warum konnte ich nie mit Jungs reden? Als wären sie eine total andere Spezies...
Tja, sieben Jahre Mädchenschule, das hatte man wohl davon.
Ich schulterte meinen Rucksack ab, er plumpste auf den Boden und ich ging in die Hocke. Ich behielt erstmals ein wenig Abstand.
Als er immer noch nichts sagte und mir das viele Blut langsam zu viel wurde, holte ich Taschentücher aus meinem Rucksack raus und legte es auf seine Wunde. Dann tupfte ich behutsam.
Valentin hatte währenddessen wieder auf den Boden geschaut, vielleicht in der Hoffnung, dass ich nur zum Gaffen gekommen war und um dann wieder zu gehen, sah mich jetzt aber unglaubwürdig an. Trotzdem war sein Blick noch ziemlich leer und ich traute mich nicht ihn anzusehen.
Ich hatte generell Probleme, Leuten in die Augen zu sehen, es war mir einfach irgendwie zu intim. Aber jetzt war es nochmal anders. Ich hatte Valentin noch nie berührt, auch wenn noch das Taschentuch zwischen unserer Haut ist, und sein Blick war wirklich gruselig.
Letztes Jahr hatte ich immer wieder gehofft, dass wir in eine Situation geworfen werden, wo wir beide allein unter vier Augen reden konnten. Ich wollte wirklich wissen, was mit unserer Freundschaft so plötzlich iert war.
Aber die Zeit verging, wir hatten uns ignoriert und das war’s.
Und jetzt... jetzt hätte ich endlich die Chance, ihn zu fragen. Denn plötzlich hatte ich wieder dasselbe Bedürfnis wie letztes Jahr, die Antwort zu bekommen. Ich hatte sie verdrängt, weil die Chancen, dass wir jemals in Ruhe reden konnten, so niedrig waren, dass ich einfach irgendwann die Hoffnung aufgab. Doch kaum war ich jetzt in dieser erhofften Situation, war alles schlagartig zurückgekommen.
Die Fragen brannten mir auf der Zunge, doch ich war zwar schon immer so schüchtern, dass ich mal was sagen wollte, mich aber nicht traute, aber das war gerade nicht der richtige Moment.
Valentin sah ehrlich gesagt scheiße aus; dunkle Augenringe wuchsen unter seinen Augen, die ich bei ihm noch nie gesehen hatte, Blut hörte nicht auf zu fließen, seine Haare waren verschwitzt, schlimmer als meine, und er hatte diesen gruseligen Blick auf.
Zwei Taschentücher waren schon vollgesaugt mit Blut, ich musste eine zweite Packung aus meiner Tasche holen.
Warum war er nicht nach Hause gegangen? Ich war sicher, die Lehrer hatten ihn dorthin geschickt und seine Eltern auch schon kontaktiert.
Warum verarztete er seine Wunde nicht? Er drückte seine Hand drauf, also wusste er wohl schon davon, aber er schien wirklich, als würde ihn das nicht interessieren.
Und warum hatte ich immer das Bedürfnis, Leuten zu helfen, mich um sie zu kümmern, auch wenn ich sie nicht kenne, sie hasse, sie mich komisch finden, etc.? Warum will ich für Leute da sein, die mich wie Luft behandeln? Warum setze ich mich immer wieder für sie ein, während sie Gerüchte hinter meinem Rücken erzählen? ...
Ich warf die benutzten Taschentücher in den Mülleimer hinter uns und holte dann meine Trinkflasche aus dem Rucksack. Bevor er mir noch ohnmächtig wurde.
„Warum bist du nicht nach Hause gegangen?“ Ich sprach es endlich aus, während ich meine Flasche aufschraubte. Ich hatte heute schon etwas getrunken und wollte ihm ja nicht den Teil mit meiner Spucke darauf geben.
Er antwortete nicht. Ebenso wenig regierte er, als ich ihm die Flasche hinhielt. Ich wollte ihn wirklich nicht zwingen, aber er musste wirklich was trinken.
„Du solltest zum Arzt. Deine Wunde sieht echt schlimm aus.“ Versuchte ich es wieder.
Ich drückte ihm meine Flasche in seine freie Hand und endlich, er trank was. Auch wenn es nur ein Schluck war und er mir die Flasche dann ekelerregend zurückgab.
Ups, ich hatte ja kalten Tee drin, und nicht Wasser. Trank ich zurzeit lieber, aber mir war der Fakt wohl abhandengekommen, als ich ihn verarztete. Hinter uns stand allerdings ein Getränkeautomat...
Ich rappelte mich auf, zog meinen Geldbeutel aus dem Rucksack und war bereit, irgendwas reinzuwerfen. Dann sah ich aber den Zettel drüber kleben: „Wegen Corona zurzeit außer Betrieb.“
Na toll.
Der Tee war allerdings wirklich lecker, ich verstand nicht, warum er den so widerlich von sich wegdrückte.
Apropos Corona... im Schulgebäude herrschte Maskenpflicht und er hatte keine an. Auch sah ich keine in der Nähe von ihm. Naja, er hatte zwar sicherlich in den letzten Stunden die 1,5 Meter Abstand gewahrt, aber trotzdem.
Übrigens hatte ich auch keine Maske auf, aber das nur, weil ich ja schon das Gebäude verlassen hatte. Und es dann wegen der Überraschung vergessen. Schnell holte ich meine Maske hervor und setzte sie auf. Wenigstens einer von uns beiden hielt sich noch an die Regeln und er konnte ja auch noch als Ausrede sagen, dass ihm die Wunde zu sehr wehtat.
Ehrlich gesagt wollte ich mich jetzt am liebsten nur noch neben ihn setzen und über alles reden. Einfach nur mit meiner Präsenz für ihn da sein. Ich hatte so viele Fragen, auch wegen dem Streit von heute. Wie es überhaupt dazu kam, dass er in sowas verwickelt worden war, und, und, und.
Doch ganz tief in meinem Kopf klingelte die Vernunft, die mir sagte, dass Valentin dringend einen Arzt bräuchte, denn in ein paar Minuten würde er sicherlich sein Bewusstsein verlieren.
Ich hatte noch nie jemanden live bewusstlos gesehen, ich würde wahrscheinlich nur in Panik geraten und damit wäre keinem geholfen.
Diese Möglichkeit, unter vier Augen und alleine zu reden würde ich definitiv nicht mehr bekommen. Selbst wenn heute alles noch gut geht und er von Spezialisten verarztet wird, würde das nachher genauso enden wie letztes Jahr: dieser Schritt in eine Freundschaft wäre nie iert und wir würden uns wie Luft behandeln.
„Kannst du aufstehen?“
Die Vernunft gewann. Ich wollte ihn zum Arzt bringen. Auch wenn ich ihn dabei halb tragen müsste – stark genug wäre ich definitiv nicht und am Ende sterbe ich noch wegen Knochenbruch an allen meinen Knochen, die ich in meinem Körper habe, aber ein Versuch war es wert.
Ich hielt ihm meine Hand hin, um ihm irgendwie zu signalisieren, dass er aufstehen sollte, falls er mich nicht gehört hatte.
Er verstand schließlich, nahm aber nicht meine Hand, sondern hielt sich am Fensterbrett fest.
Ich setzte meinen Rucksack wieder auf, ging dann langsam los und schaute, ob er mir folgen würde. Er machte einen Schritt, aber brach fast wieder zusammen, wenn ich ihn nicht gestützt hätte.
Mein rechter Arm um seinen Rücken, mein Linker hielt seinen linken Arm über meinen Schultern fest. Er war ein Kopf größer als ich und mit meiner Kraft würden wir es nicht mal bis zur Straße schaffen. Aber ich musste es versuchen.
Also gingen wir einigermaßen voran. Die Zeit verging gefühlt extrem langsam aber auch extrem schnell.
Ich zumindest hatte das Gefühl, dass wir für jeden Schritt eine Stunde brauchten, doch gleichzeitig gar nicht voran kamen, als wäre die Zeit stehen geblieben.
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Die Skizzen dienen zur Veranschaulichung, da ich manche Szenen einfach nicht so beschreiben kann, wie ich sie in meinem Kopf sehe.
Die Bilder sind zwar auch nicht so krass gut gezeichnet, sollen aber eben auch kein Meisterwerk für ein Museum werden, sondern eben nur eine Skizze.
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